Einöde

Der kalte Wind trug den Geruch von Schnee und Blut herüber. Er kam von Westen, wo ein dumpfes, rotes Glühen die tiefhängenden Wolken erhellte. Erek zog den grauen Mantel enger um die Schultern und wand sich nach Süden. Was auch immer im Osten geschah, war nicht seine Angelegenheit. Er hatte noch einen weiten Weg zu gehen und die Nacht war schon nahe. Er musste einen sichern Ort finden, an dem er die dunklen Stunden überleben konnte. Erst in der vergangenen Nacht hatte er das ferne Heulen der Schattenwölfe gehört.

Der unfreundliche Wind stieß Erek voran, die Straße hinab, deren Staub seine zerrissenen Kleider und sein hageres Gesicht bedeckte. Zu viele Meilen schon hatte er auf ihr zurückgelegt. Es war an der Zeit, sie endlich wieder zu verlassen und einen neuen Weg einzuschlagen. Doch zuerst musste er noch etwas erledigen, dachte Erek, und ein bitteres Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Nein, er hatte es nicht vergessen. Er wanderte nicht zum Vergnügen in dieser gottverlassenen Gegend, die selbst die Asskrähen zu meiden schienen. Hier gab es nichts mehr, weder für die schwarzen Vögel, noch für sonst jemanden. Nur für ihn, Erek, den Verstoßenen, gab es in dieser Einöde etwas zu finden. Er verfluchte Aresal für diesen Ratschlag. Der Alchemist hatte sicher Recht gehabt, als er Erek nach Süden geschickt hatte. Aber der Preis, den dieser gezahlt hatte, um die Berge zu überqueren, war hoch gewesen. Ein ganzer Trupp seiner Reiter war zurückgeblieben. Keiner dieser armen Seelen konnten ihren Herren weiter begleiten. Und keine von ihnen würde nach Hause zurückkehren. Langsam zweifelte auch Erek daran, dass er selbst die Türme seiner Heimatstadt jemals wiedersehen würde. So viele Meilen lagen zwischen den Ufern des tosenden, schäumenden Meeres, an das er vor so langer Zeit sein Herz verloren hatte und diesem verfluchten Flecken Erde, auf dem er nun stand. Es nur noch einmal zu sehen, sagte Erek sich, wäre alles, was er sich wünschte, sollte er es tatsächlich schaffen seine Aufgabe zu erfüllen.

Hinter den bleischweren Wolken fiel die Sonne dem Horizont zu. Bevor sie ganz verschwand, durchdrangen ihre flammend roten Strahlen noch ein letztes Mal die Wolken und entzündeten den Himmel über Erek. Sein Schatten fiel lang und scharf geschnitten auf den kargen Boden. Er wand sich diesem letzten Gruß des Lebens zu und schloss die Augen. Durch die Lider hindurch schimmerte das Rot der sinken Sonne und erfüllte seinen Geist mit einem Funken Hoffnung. Dann war es vorbei. Das Licht verschwand und mit ihm jede Wärme. Die Nacht brach über die Ebene herein wie ein Heer von Schattenkriegern. Sie drängte sich um den einsamen Wanderer, packte ihn mit eisigen Fingern und raubte ihm für einen Augenblick die Sinne. Der Wind heulte auf und warf Erek stechende kleine Eiskristalle ins Gesicht. Der Schnee hatte ihn erreicht. Still und leise fielen die Flocken immer dichter, bedeckten den Boden mit einer dünnen, weißen Schicht, in der sich die Fußspuren des Wanderers deutlich abzeichneten.

Er beachtete es nicht. Es gab niemanden, der ihm folgen würde. Nur die Wölfe, und die brauchten nicht seine Fußspuren, nur den Geruch seines kalten Schweißes und seines Blutes.

2 Kommentare zu „Einöde

  1. Super, also mich hast du auf jeden Fall als neuen Leser /Fan. Wann bist du damit fertig und wie soll der Titel lauten (hast du bestimmt schon erwähnt )

  2. Das ist nur ein allein stehender Textschnippsel. Also nicht Teil eines meiner Projekte, an denen ich gerade arbeite. Aber ich will bald mal mit einer Fortsetzungsgeschichte hier auf der Website anfangen, da kannst du dann regelmäßig mitlesen. 🙂

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

*

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.