Heldenmut

Was macht einen wahren Helden aus? Stärk, Tapferkeit, Geschick, Loyalität, Gerechtigkeit? Braucht er eine Waffe? Muss er einen übermächtigen Gegner bezwingen? Muss er die wahre Liebe finden?
Ich denke es sind weniger seine Eigenschaften und auch nicht die Umstände, die einen Helden zum Helden machen, sondern seine Entscheidungen.

 

Was ein Held tut

In der schreibenden Zunft und vor allem unter Fantasy-Autoren ist die Heldenreise ja schon lange ein Schlagwort – ein verehrtes und auch verhassten. Einige Autoren konstruieren ihre Geschichten anhand dieses Konzeptes, weil es erfolgversprechend ist (oder einem zumindest so verkauft wird). Andere scheuen die Heldenreise weil sie sie für ein viel zu enges Korsett halten, in das sie ihre Charaktere nicht hineinpressen wollen. Damit wird die Heldenreise oft missverstanden als ein Schema, wie man die Handlung aufzubauen hat und welche Elemente sie beinhalten muss.
Für mich ist die Heldenreise keine Plotmethode, sondern … ja, was eigentlich? Es ist schwer in einem einzelnen Begriff zu verpacken. Joachim Hammann, der ein Buch mit dem Titel “Die Heldenreise im Film” geschrieben hat, beschreibt dieses Konzept als “Heldwerdung” beziehungsweise “Heilwerdung” einer Figur. Das heißt, dass der Charakter, um den sich die Geschichte dreht, in ihrem Verlauf zu sich selbst findet und mit sich und seiner Umwelt wieder ins Reine kommt.
Ich stimme Herrn Hammann in vielen seiner Punkte zu oder halte sie zumindest für durchaus erwägenswert. Aber was das Ende der Heldenreise betrifft, den Wiedereinzug ins Paradies als vollkommener Mensch, vertrete ich eine ganz andere Sicht, in der ich mich durch praktisch alle Filme, Bücher, Geschichten jeder Art und die Welt, in der wir leben, bestätigt sehe: für einen wahren Helden gibt es kein Ende und kein Paradies. Er kann geheilt werden, aber er muss einen Preis dafür bezahlen.

 

Wie man ein Held wird

In meinen eigenen Worten knapp zusammengefasst, spielt sich die Heldenreise so ab:

 

1 – Erkenntnis dass etwas nicht stimmt
Entweder mit dem Charakter an sich, seinem Umfeld oder mit der Welt, in der er lebt.

 

2 – Entscheidung etwas zu ändern
Der Charakter bricht aus seinem Status Quo und damit seiner bisherigen Sicherheit aus.

 

3 – Kampf für die Veränderung
Mit welchen Mitteln und Wegen auch immer, das tut hier nichts zur Sache.

 

4 – Erkenntnis warum man scheitert
Irgendetwas steht dem Held immer noch im Weg – er selbst.

 

5 – Entscheidung das Richtige zu tun
Der Held muss sich selbst aufgeben, um gewinnen zu können.

 

6 – Sieg und Exil
Der Held hat gewonnen, aber auch verloren.

 

 

Die Punkte 1 und 2 können auch vertauscht werden, denn ab und zu muss man seine Figuren erstmal mit einem Tritt in den Allerwertesten aus ihrer Wohlfühlzone hinaus befördern, bevor sie bereit sind sich einzugestehen, dass etwas nicht stimmt.

 

Punkt 1 ist schon einmal eine ungeheure Leistung: über den Tellerrand hinaus zu blicken, sich selbst in Beziehung zu anderen Menschen und der Welt zu setzen und sich eingestehen, dass das, was man bisher als richtig und gut erachtet hat, eine Lüge war.

 

Punkt 2 zeigt wahren Mut – man tritt aus der Sicherheit heraus, stürzt sich ins Abenteuer ohne zu wissen, wohin die Reise führt und was an ihrem Ende wartet. Und das nur mit einer Waffe in der Hand beziehungsweise im Kopf: Glaube.

 

Punkt 3 macht meist den Hauptteil der Handlung eines Romanes oder Filmes aus: man sieht dem Held zu, wie er seinen Weg findet, Gefährten, Antworten, Lösungen und seine eigene Stärke. Aber irgendwie hilft das alles nicht.

 

Punkt 4 ist für mich der Kern wahren Heldentums. Zu verstehen, dass man selbst nicht wichtig ist, das man höheren Zielen und Idealen dient und deswegen sich selbst aufgeben muss, anders handeln muss, als man es gerne täte. Das ist meist der absolute Tiefpunkt eines Helden, der Absturz, der seinem Höhenflug unweigerlich folgen musste.

 

Punkt 5 zeigt, ob wir es mit einem echten Helden zu tun haben oder einer Fassade. Hier muss die Erkenntnis aus Punkt 4 nämlich in die Tat umgesetzt werden. Einmal mehr muss der Charakter seinen Status Quo aufgeben. Und dieses Mal ist es um so schwerer, da es dieses Mal keine Lüge ist, die man aufgibt, sondern das eigene Selbst, das man gerade erst gefunden hat.

 

Punkt 6 ist der obligatorische Sieg des Guten – Konfetti, Umarmungen, Jubel, Trubel, Heiterkeit. Nur einer kann sich nicht so richtig freuen: der Held. Er hat für den Sieg am meisten opfern müssen. Oder besser – er ist um eine entscheidende Erkenntnis reicher: es wird nie wieder einen Status Quo geben.

 

Was ein Held ist

Ein Held ist nicht, ein Held wird immer wieder aufs Neue geschaffen. Er weiß, dass seine Reise nie zu Ende ist, dass er, der er erkannt und entschieden, gekämpft und geopfert hat, nie wahren Frieden finden wird. Es gibt für ihn keine Paradies, kein Utopia.
Der Weg des Helden führt immer weiter und zwar in zwei unterschiedliche Richtungen. Entweder akzeptiert der Held diesen Umstand und ist somit endgültig mit sich im Reinen – er wird zum “strahlenden Helden”, zum Mahnmal, das verhindern wird, dass die dunkle Zeit zurückkehrt.
Oder er wird bitter und zieht sich ins Exil zurück, wird zum “gefallenen Helden”, der sich aufmacht, um die Heldenreise noch einmal zu vollziehen, mit der Hoffnung auf einen anderen, bessern Ausgang. Somit wird er zur Legende.

 

Genau das sind Helden für uns: Vorbilder an denen wir uns orientieren, um selbst die besten Menschen zu werden, die wir sein können.
Und das ist der Grund warum wir gerne Heldengeschichten lesen: wir wollen an Helden glauben, weil wir an uns selbst glauben wollen.

 

Bild: Michelangelo’s David, 1501-1504, Galleria dell’Accademia (Florence) ; Foto: Jörg Bittner Unna

2 Kommentare zu „Heldenmut

  1. Meiner Meinung nach geht die Heldenreise, zumindest so wie ich sie in Campbells „The Hero with a Thousand Faces“ kennen gelernt habe, sogar noch einen Schritt weiter. Die Heldenreise ist nicht einfach nur die „Held-Werdung“ eines Charakters, sondern mehr noch ein kompletter Reifeprozess. Aus einem Jungen wird ein Mann, aus einem Mädchen eine Frau, aus einem unfertigen Wesen ein kompletter Mensch. Es geht weniger darum, dass jemand ein Held wird, sondern mehr darum, dass er komplett wird und damit ein Teil dieser Welt, ein Macher, anstatt nur der Spielball. Insofern geht es um etwas, das jeder von uns durchmacht, bzw. durchmachen sollte, nämlich das Reifen von einem Kind zu einem vollwertigen selbstbewussten und selbst-erkennenden Erwachsenen.
    Wenn man einen Schritt weiter geht, handelt die Heldenreise davon, den göttlichen Funken in sich selbst zu finden. Man legt ab, was instinkt- und triebgesteuert ist, man hört auf mit den Ausreden, dass man ja nur ein haarloser Affe und damit ein Tier ist, und versucht, ein wenig mehr nach dem Göttlichen zu greifen und mehr aus sich zu machen, als das Fleisch, das man ist. Im Grunde erkämpft man sich auf der Heldenreise seine eigene Seele.
    Deshalb endet die Heldenreise, wie du schon gesagt hast, auch nicht wirklich mit dem Paradies. Sie endet vielmehr damit, dass der Held zurück in sein alltägliches, normales Leben kehrt. Er legt seine Rüstung ab, hängt sein Schwert an die Wand, gründet eine Familie, geht gewöhnlicher Arbeit nach. Die Heldenreise ist zwar die interessante Geschichte, die man sich erzählt und für die wir uns interessieren, und was danach kommt ist uns meistens egal. Ende gut, alles gut. Aber das Ende der Heldenreise ist nicht wirklich das Ende des Lebens der Hauptfigur. Das Ende der Heldenreise ist in Wahrheit der Anfang.

    1. Danke für die Ausführung, Christian. Ja, ich bin hier nicht auf die vollständige Theorie eingegangen, da sie einfach zu umfassend ist. Joachim Hammann geht in seinem Buch sogar nochmal einen Schritt weiter und erklärt, wie das Erzählen einer solchen Heldenreise (in seinem beonderen Fall im Film), auf den Rezipienten übertragen wird. Durch stilistische Mittel wie Spannungsbogen und Kartharsis, wird der Zuschauer selbst auf die Heldenreise geschickt und soll sie so am eigenen Leib erfahren können.
      Ich lese das Buch gerade und wollte, sobald ich fertig bin, ein wenig darüber schreiben.

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