#2 | Ashuraya

Vargas erwachte in der Gosse und sah hinauf in den dunklen Himmel, der ihm den Regen so heftig ins Gesicht warf, wie als hege er einen persönlichen Groll gegen ihn. Er rollte herum, stemmte sich aus dem Dreck und stand schwankend auf. Alle Alben waren groß und das galt für Vargas besonders. Also musste sein Kopf nun eine weite Strecke zurücklegen und dankte es Vargas mit heftigem Schwindel. Er taumelte und entschloss sich dann, sich von seinem Abendessen zu trennen. Es hatte zum Großteil aus Schnaps und Bier bestanden. Er trauerte ihnen nicht nach. Vargas trank nicht zum Vergnügen, sondern um gewisse Dinge zu vergessen. Wie zum Beispiel den bedauernswerten Umstand, dass er geboren worden war.
Und auch die Blicke würde Vargas gerne vergessen. Sie folgten ihm überall hin. Er konnte ihnen nicht entkommen. Seine Haartracht war einzigartig in Ashuraya, wo sonst nur Verbrecher, Verräter und Sklaven die Köpfe kahl trugen. Vargas hatte nach seiner Rehabilitierung zumindest einen kleinen Streifen schwarzer Haare wieder wachsen lassen, um sich den Zopf, der ihm als Krieger gebührte, binden zu können. Aber dieses Ehrenzeichen täuschte niemanden über die sorgfältig rasierten Seiten seines Schädels hinweg, die Vargas als das auszeichnete was er war: ein Aufrührer, eine Ärgernis im mindestens Falle, eine Gefahr in den Augen der meisten.
Die Erinnerungen kehrten zu Vargas zurück wie eine räudige Katze, die sich nach einer anstrengenden Nacht unter der Tür hindurch zwängte, um den Teppich und das Bett mit dreckigen Spuren und toten Mäusen zu versehen.
Sie starren mich an wie einen Aussätzigen, wie als würde meine Anwesenheit ausreichen, sie alle ins Verderben zu stürzen. Jeden meiner Schritte, von der Tür der Schenke bis zum Tresen, jede meiner Bewegungen beobachten sie genau, bereit zu fliehen oder zu töten. Einmal nur möchte ich erleben, dass einer von ihnen wirklich den Mut dazu aufbringt! Aber sie starren nur. Sehen wortlos zu wie ich mir meinen Schnaps hole, ordentlich bezahle und nur meine Ruhe haben will. Aber gönnen sie mir die? Nein, sie starren und die murren, flüstern und greinen als könnte ich sie nicht hören. Verdammt! Meine Ohren sind genau so gut wie ihre. Ich bin einer von ihnen, unter ihnen aufgewachsen! Ich habe die gleichen Eide abgelegt wie sie, die gleichen Schmerzen durchlebt. Und noch viel mehr. Keiner von ihnen weiß, wie es ist. Keiner von ihnen will wissen, wie es ist. Sie starren nur. Sie sehen nur. Sie verstehen nichts.
Aber sie sind mutig, wenn sie im Pack kommen. Bauen sich vor mir auf als gäbe ihnen irgendetwas das Recht dazu und schnauzen mich an: “Verschwinde, Missgeburt.”
“Nein.” Ich bin es Leid mich zu verstecken. Das habe ich viel zu lange getan.
Zumindest muss ich nicht mit ihnen streiten. Der erste holt sofort aus, der zweite folgt ihm. Vier von den Mistkerlen stürzen sich auf mich und ich schlag einfach nur zu bis meine Knöchel bluten. Aber es werden immer mehr, sie packen mich, zerren an mir, stoßen mich hin und her. Ich merke, dass es gleich passieren wird. Ich leiste mir keine teuren Kleider weil sie zu oft auf diese Weise enden. Jemand packt mich am Kragen, ich schlage zu und er taumelt weg, hält sich an meinem Hemd fest und es reißt.

Vargas scheuchte die Erinnerungen mit einem heißeren Schrei davon. Er hatte genug davon. Es war nicht so, als provoziere er die Schlägereien in irgendeiner Weise außer durch seine reine Existenz. Aber die reichte, um ihn ein ums andere Mal in Schwierigkeiten zu bringen. Und dabei wussten die meisten Alben nicht einmal, weswegen sie Vargas verachteten und fürchteten. Sie sahen seinen rasierten Kopf, die Provokation darin, und das war es für sie. Aber an diesem Abend war einigen von ihnen vor Augen geführt worden, was wirklich hinter all den Gerüchten und der Angst steckte, die Vargas umgaben. In dem Moment, als der billige Stoff des Hemds gerissen war und jeder es hatte sehen können. Es war nicht der geschorene Schädel, der Vargas zu dem machte, was er war. Es war das Ding auf seinem Rücken, das Mal, das seine Haut zierte. Das allein war der Grund für all das Übel. Geburtsmale gab es viele und unter Alben sah man ihn ihnen Orakelsprüche und Weissagungen. Aber dort, wo das Schicksal normalerweise viel Raum für Interpretationen ließ, drückte es sich bei Vargas klar und deutlich aus. Es hatte große Buchstaben gewählt, die jedes Kind lesen konnte, um auf Vargas’ breiten Rücken das Wort Verderben zu schreiben.

 

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