#25 | Bündnisse

Vargas hob langsam den Kopf und blinzelte. Das Feuer war fast herunter gebrannt, aber der Morgen kündigte sich mit grauem Zwielicht an, das zwischen den Kiefern hing wie dichter Nebel.
Mit einem Stöhnen versuchte Vargas sich zu bewegen. Seine Glieder schmerzten und sein Kopf war dumpf. Er saß an einen Baumstamm gelehnt.
Verwirrt rief Vargas sich in Erinnerung, was passiert war. Er hatte eine Messer in der Hand gehabt. Und Marjella. Alles andere war undeutlich.
“Wie geht es deinem Kopf?’
Die Stimme allein genügte, um den Zorn in Vargas auflodern zu lassen. Er stemmte sich in die Höhe und knurrte Marjella an, die mit verschränkten Armen vor ihm stand und ihn mit seltsamem Blick musterte.
“Bringen wir es zu Ende“, fauchte Vargas. “Such dir eine Waffe.“
Marjella nickte und hob den grünen Seelenstein in die Höhe. Ein Schnauben erklang dicht neben Vargas. Er sah auf und in die breite Grimasse des riesigen Orks, der ein leises Grunzen von sich gab.
Vargas ballte die Fäuste und wandte sich wieder Marjella zu. Der Prismar rührte sich, kam näher. Bevor er die Kontrolle über Vargas erlangen konnte und bevor der sich zu einem Angriff entschied, setzte Marjella sich auf den Waldboden.
“Es reicht mir mit dem Unsinn,“ sagte sie und strich sich das Haar zurück. “Seitdem ich dich kenne warst du mindestens die halbe Zeit bewusstlos und praktisch andauernd gefesselt. Wird dir das nicht auch langsam zu blöd?“
Vargas starrte sie an. Die Worte hallten durch seinen Kopf und vertrieben alle Gedanken. Darunter kochte Wut hoch. “Das alles ist deine Schuld, Miststück!“
Marjella winkte ab. “Ja, ja. Ich weiß. Ich habe angefangen. Deswegen beende ich es auch. Ich schlage vor wir ändern die Prämisse unserer Beziehung. Das heißt -“
“Ich weiß, was das heißt!“
“Dann sind wir uns einig?“
“Scheiße, nein!“ Vargas machte einen Schritt auf sie zu. Der Ork knurrte. Mit großer Mühe drängte Vargas den Prismar zurück. “Das ergibt keinen Sinn.“
Marjella schüttelte den Kopf. “Es ergibt sehr viel Sinn. Ich will den Prismar aus dir heraus bekommen. Du willst ihn los werden.“ Sie streckte Vargas die Hand entgegen. “Partner?“
Vargas brüllte auf. Bevor er springen könnte packte ihn der Ork und riss ihn zurück, drückte ihn gegen den Baum, bis Vargas’ Rippen knackten.
Marjella schüttelte den Kopf. “Dank meines neuen … Gehilfen könnte ich dich in einen Sack stecken und mitschleppen. Oder ich befehle ihm einfach, dir alle Knochen zu brechen.“
Die Pranken des Orks schlossen sich fester um Vargas.
Marjella warf eilig ein: “Noch nicht!“
Der Griff lockerte sich wieder und Vargas schnappte nach Luft.
“Genau das ist das Problem.“ Marjella lächelte gequält. “Er ist mindestens genauso dumm wie nützlich. Ich kann euch nicht beide mit mir schleifen. Nicht bis nach Morkaria. Ich brauche zumindest einen Begleiter, der halbwegs vernünftig und intelligent ist.“
Vargas schnaubte. “Du willst, dass ich dir helfe?“
“Ich will, dass du dir selber hilfst“, seufzte Marjella. Sie wirkte müde und rieb sich das Gesicht. “Du musst den Prismar los werden.“
Der Dämon richtete sich auf und fletschte die Zähne. Vargas spürte ihn unter seiner Haut und hinter seiner Stirn. Er lachte hart auf. “Wieso sollte ich das? Wir kommen ganz wunderbar miteinander aus. Wir haben viele gemeinsame Interessen.“
“Er wird dich töten“, hielt Marjella Vargas entgegen.
Vargas spuckte aus. “Mir egal. Bis dahin haben wir unseren Spaß.“
Marjella stand auf und kam auf Vargas zu. Er versuchte kurz, sich aus dem Griff des Orks zu befreien. Unmöglich. Marjella blieb vor ihm stehen und das eisige Feuer ihrer blauen Augen brannte sich in seine.
“Lass es mich anders formulieren.“ Ihre Stimme war eindringlich. “Der Prismar wird dich nicht töten. Er wird deinen Körper übernehmen, deine Gedanken, deine Seele. Es wird alles ihm gehören. Von dir wird am Ende nicht mehr viel übrig sein. Ein Funken vielleicht, ein Splitter deines Bewusstseins, der sich dumpf erinnert, tief in einem Gefängnis aus Fleisch, Knochen und Hass. Womöglich macht er sich sogar unsterblich, was weiß ich. Du wirst ewig da drinnen gefangen sein.“ Sie neigte sich Vargas entgegen. Der Prismar drängte sich nach vorn.
“Ich habe ihn gesehen“, sagte Marjella. “Er hat schon zuviel Kraft gewonnen. Alleine kommst du nicht mehr gegen ihn an, Vargas. Du willst nicht werden, was er aus dir machen würde.“
“Still!“, fauchte der Dämon aus Vargas’ Mund. “Mein!“
“Nein.“ Marjella berührte Vargas’ Stirn. Es war nur ein kurzes Antippen, das die roten Nebel zerriss und den brennenden Zorn kühlte. Er verschwand nicht ganz, brodelte in Vargas’ Eingeweiden weiter. Schneidende Kälte blieb zurück. Sie ging Vargas durch Mark und Bein.
“Ich will dich nicht in meinem Kopf“, zischte er.
“Und ich will nicht dort sein“, antwortete Marjella barsch. “Ich kann dir zeigen wie du dich – deinen Zorn – unter Kontrolle bringst. Und das ohne dich besinnungslos zu saufen. Ich brauche dich nüchtern.“
Vargas schnaubte. Die Muskeln in seinem Rücken zuckten immer noch und ein Kribbeln glitt unter seiner Haut dahin. In seinem Kopf raunte eine fremde Stimme, auf die er nur zu gerne hören würde. Ein anderer Teil von ihm sträubte sich dagegen, wollte sich von nichts und niemandem etwas sagen lassen. Vargas schüttelte den Kopf, um Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Die Verwirrung nährte den Zorn.
Marjella beobachtete den Kampf in seiner Miene und seufzte. “Na schön. Fangen wir anders herum an.“ Sie sah zu dem Ork auf. “Lass ihn los.“
Kaum dass der Druck sich von Vargas hob und er wieder richtig Atem schöpfen konnte, brüllte der Prismar, wollte sich auf Marjella stürzen.
Die hob eine Flasche hoch, wie einen Schild. Vargas griff danach ohne nachzudenken, riss den Verschluss herunter und trank gierig. Er hatte schon mehrere tiefe Schlucke in seinen Magen befördert, als Zunge und Kehle ihm schlechte Nachrichten übermittelten. Er hustete und würgte. Tränen traten ihm in die Augen. Ein scheußliches Brennen füllte seine Nase. Er spuckte den letzten Rest der zähflüssigen, schwarz-braunen Flüssigkeit aus, der noch in seinem Mund gewesen war. Etwas knirschte zwischen seinen Zähnen.
“Was ist das?!“
Marjella hob die Schultern. “Keine Ahnung. Orkfusel, nehme ich an. Wirkt es?“
“Verdammt, ja!“ Vargas taumelte und stieß gegen den Baum hinter seinem Rücken. Die Welt drehte sich, summte dabei leise. Vargas kannte die Melodie und lächelte. Er sank zu Boden, lehnte den Kopf an die raue Rinde und murmelte: “Na schön. Was schlägst du vor?“

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