#21 | Bündnisse

Während die Prinzessin den Thron bestieg und im Licht der Sterne badete, zog ihr Bruder die Schatten um sich zusammen und stahl mit ihrer Hilfe die Krone. Dann floh er, verließ Heimat und Reich, wie es vorausgesehen worden war, und schwor, nicht zu ruhen bis die Prophezeiung erfüllt und nur noch eine Linie des königlichen Blutes übrig geblieben war.

Seit jenem Tag dauert der Krieg der Elfen an.

***

 

Marjella starrte in die hässliche Visage des Giftzwerges. Der Tod hatte ihrer Abscheulichkeit keinen Abbruch getan und der Fall von den Schultern des Riesenorks auf den rauen Felsboden hatte das Ganze nur verschlimmert. Marjella schüttelte die Benommenheit ab. Ihr Blick blieb an dem grünen Seelenstein hängen, der unweit des abgetrennten Kopfes lag. Er funkelte verlockend. Marjella streckte die Hand danach aus.

Meins.

Jemand packte Marjella und zog die in die Höhe. Sie wollte zuschlagen, aber ihr Hieb wurde abgefangen.

“Los jetzt!“, herrschte Vargas sie an. “Der Schock wird nicht lange halten.“

Aus den Augenwinkeln sah Marjella die Orks auf allen Vieren fliehen wie ein Pack getretener Hunde. Nur der Riese verharrte und sah mit leerem Blick auf den Kopf seines Reiters hinab.

Marjella riss sich los und machte einen entschlossenen Schritt auf den Seelenstein zu. Die kleinen Augen des Orks folgten ihr.

“Lass das“, zischte Vargas.

Marjella schluckte hart. Sie behielt den Riesen im Auge, während die sich langsam in Richtung des grünen Edelsteins schob. Der Ork blinzelte. Marjella sprang und griff zu. Ein Ruck ging durch den Ork, er drehte sich und streckte die Pranken nach Marjella aus. Vargas stieß gegen ihn, warf ihn ein kleines Stück aus der Bahn, gerade weit genug, um an ihm vorbei zu kommen und Marjellas Arm zu packen. Vargas riss sie mit sich.

Der Riesenork grunzte wütend und nahm die Verfolgung auf. Ohne Reiter und konkrete Anweisungen war er langsamer und der Vorsprung der beiden Elfenwesen wuchs.

“Das Pferd?!“, fuhr Vargas Marjella an.

Mit Mühe riss sie ihre Gedanken von dem Seelenstein in ihrer Hand los.

Meins.

Sie presste ihn an sich und sah sich um. Von dem Tier war nichts zu sehen. Die Orks hatten es entweder mit sich geschleift oder es war geflohen.

“Lauf einfach!“, rief sie Vargas zu und beschleunigte selbst.

Der Boden unter ihnen bebte leicht. Der große Ork folgte ihnen, benutzte seine Arme als zusätzliches Paar Beine und kam immer näher.

“Verfluchte Scheiße!“, entfuhr es Vargas. Er schlug einen Haken und zog Marjella mit sich.

Der Ork schlitterte und musste erst seine Gliedmaßen sortieren, bevor er wieder die Verfolgung aufnehmen konnte.

“Trennen!“ Marjella stieß Vargas von sich. Sie rannte schneller, sprang über einige Gräben im Fels und umrundete ein paar Findlinge. Dann erst blieb sie stehen und wagte einen Blick nach hinten.

Der Ork kam näher. Sie fluchte und stopfte den Seelenstein unter ihren Lederharnisch.

Meins.

Mit einer schnellen Drehung duckte sie sich hinter einem Fels und schlich sich vorsichtig davon. Sie musste in die Richtung zurück aus der sie gekommen war und Vargas finden.

Meins.

“Jetzt hör schon auf“, knurrte sie und verdrängte die Erinnerung an den satten grünen Glanz des Steines. Wenn wir jetzt nicht einen kühlen Kopf bewahren und ihn aus der Schlinge ziehen, verlieren wir ihn und das wars dann, verstanden?

Meins.

Marjella lauschte. Irgendwo hinter den Brocken, die sie als Deckung nutzte, knirschten Steine, die von großen, breiten Füßen zermalmt wurden. Der Ork grunzte und schnüffelt.

Marjella sog selbst die Luft ein. Die leichte Prise kam von Süden und brachte den Geruch von Alben mit sich. Vorsichtig schob Marjella sich in diese Richtung.

Meins.

Beinahe wäre ihr ein Fluch entfahren. Die Beherrschung, die sie brauchte um ihn zurück zu halten fehlte ihrem Körper. Sie stolperte und einige dicke Kiesel kullerten davon. Sie hörte ein dumpfes Knurren und lief los.

Unter ihren Stiefeln spritzten Steinsplitter auf. Sie sprang und setzte über einen Findling hinweg. Hinter ihr schnaubte der Ork und wurde schneller. Er hatte sich an ihre Fersen geheftet und holte auf. Der Gedanke an seine brachialen Klauen und seine langen, gelben Hauer spornte Marjella an.

Ihr Herz raste und sie hatte keine Zeit sich neu zu orientieren. Sie rannte auf gut Glück, wählte immer den Weg nach unten. Sie hatte die alte Straße wiedergefunden, auf der sie gekommen waren. Die Erkenntnis war so beruhigend wie es in dem Moment möglich war und allein deshalb schon schlug Marjella diese Richtung ein. Zumindest musste sie nun kein Hindernislauf mehr absolvieren, konnte einfach rennen so schnell sie ihre Beine trugen.

Aber das gleiche galt für den Ork. Er war nicht weit hinter ihr und schloss auf.

Mit einem stillen Fluch versuchte sie zu beschleunigen, stieß aber an die Grenzen ihrer Möglichkeiten.

Verdammtes Menschenerbe!

Die Luft begann ihn ihrer Kehle zu brennen und ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Ein heftiges Ziehen fuhr Marjella in die Seite und trieb ihr Tränen in die Augen. Sie wehrte sich gegen die Verzweiflung, stemmte sich gegen den Wunsch aufzugeben.

Über das Rauschen in ihren Ohren hinweg hörte sie den Ork hinter sich grunzen und schnauben. Sie konnte nicht mehr schneller laufen und auch nicht mehr viel weiter. Ihr Mund war voll mit bitterem Speichel, den sie kaum schlucken konnte. Er drohte sie zu ersticken.

Neben ihr tauchte ein Schatten auf. Sie hörte ein tierisches Röcheln. Mit einem gequälten Schrei wollte sie ausweichen.

Zu spät!

Ein eisenharter Griff grub sich erbarmungslos in ihre Schulter und riss sie von den Füßen. Ihr Körper gab auf und folgte der Bewegung, warf sich dem Untergang entgegen. Sie konnte durch Tränen und Panik hindurch kaum etwas sehen, roch vor allem ihren eigenen Schweiß und den Gestank ihrer Furcht. Ihre Finger suchten nach Halt, fanden feste Muskeln, die unter kurzem, borstigem Fell hin und her glitten. Marjella wurde gegen den feuchten, stinkenden Körper gepresst. Er roch nach Pferd. In ihren Ohren knackte es.

“Halt dich verdammt nochmal fest!“, schrie Vargas sie an.

Ohne zu wissen wie, schaffte Marjella es sich aufzurichten und sich an den Alb zu klammern. Der Seelenstein unter ihrem Harnisch bohrte sich schmerzhaft in ihre Brust.

Meins!

Verfluchtes Ding …

 

Der Abend war nicht mehr fern gewesen, als sie vom Tempel aufgebrochen waren. Unter der dichten Wolkendecke, die beständig mit neuem Regen drohte, war es bald finster geworden. Aber es hatte zum Glück noch lange gebraucht, bis die Dunkelheit so tief geworden war, dass Vargas das Pferd zügeln musste.

Ihre Flucht war da schon beendet gewesen. Nichts war mehr von Orks zu sehen oder zu hören gewesen. Marjella und Vargas hatten es bis in ein tiefer gelegenes Tal geschafft, wo die Kiefern wieder dichter standen und mehr Deckung boten. Unter dem Dach des Waldes war es schließlich endgültig nicht mehr möglich, weiter zu reiten.

Vargas ließ das Pferd halten. Das Tier hatte Schaum vor dem Mund und der Schweiß flockte von seinem Fell. Vargas klopfte ihm aufmunternd auf den Hals und murmelte beruhigende Worte.

Marjella stieg ab und wäre beinahe hingefallen. Ihr ganzer Körper brannte und schmerzte, ihre Glieder waren steif. Mit einem leisen Fluch massierte sie ihre Beine und richtete sich dann auf, um sich umzusehen.

Die Wolken waren ein Stück weit aufgerissen und im schwachen Licht der Sterne wirkte ihre Lage nicht vollkommen trostlos. Marjella presste die Lippen aufeinander und sah zu Vargas auf, der zu ihr gekommen war. “Deckung und Wasser in der Nähe. Wir bleiben vorerst hier.“

Der Alb nickte. In der Dunkelheit war sein blasses Gesicht recht gut zu erkennen. Seine Miene war glatt.

Marjella atmete durch. “Wir ruhen uns etwas aus. Ich denke wir haben jetzt die Zeit dazu.“

“Zeit, ja“, wiederholte Vargas und lächelte.

Dann schlug er zu.

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