#23 | Bündnisse

Marjellas Gedanken stiegen träge aus der Dunkelheit auf und tauchten in ein Meer aus Schmerzen. Ihr Rücken brannte und in ihren Armen und Beinen schienen unzählige Nadeln zu stecken. Aber das war nichts im Vergleich zu den unsäglichen Kopfschmerzen, die ihr alle Sinne raubten. Sie konnte kaum die Augen öffnen, jeder Atemzug war eine Qual. Ihre Zunge schmeckte metallisch. Sie brauchte dringend etwas zu trinken.

Mit einem Stöhnen versuchte Marjella sich umzudrehen und aufzurichten. Sie konnte sich kaum bewegen.

Benebelt ließ die sich wieder sinken und versuchte das kreischende Pochen in ihrem Schädel soweit zurück zu drängen, dass sie ihr Gehirn für eine Analyse ihrer Situation nutzen konnte. Nur nach und nach löste sich der Dunst auf, ließ ein schales Gefühl zurück – Furcht.

Marjella spürte raue Seile, mit denen ihre Hände hinter ihrem Rücken zusammengebunden waren. Sie schnitten tief in ihr Fleisch, drückten Adern und Nerven ab. Die Finger schmerzten, waren kurz davor taub zu werden.

Jeder Versuch sich zu befreien scheiterte. Die Fesseln um Marjellas Handgelenke waren mit einer weiteren Schlaufe an ihren Rücken gebunden. Auch ihre Knöchel waren zusammengeschnürt.

Hilflos lag sie auf dem Bauch und kämpfte gegen die Tränen, die die Schmerzen ihr in die Augen trieben. Es gab nur noch eines, das sie tun konnte.

“Vargas?“, murmelte Marjella. Ihre raue Kehle zog sich zusammen. Husten schüttelte sie. Wie ein glühendes Messer fuhr ihr der Schmerz in den Kopf. Sie wimmerte.

Vor ihren Augen glitten Schatten hin und her. Ein düsteres, unruhiges Licht erhellte die Umgebung. Etwas bewegte sich darin.

Marjella versuchte erneut sich herum zu rollen. Sie zwinkerte die Tränen beiseite und sah zu Vargas auf, der sich neben ihr in die Hocke hatte sinken lassen und sie mit einem seltsamen Lächeln betrachtete.

“Was -“

Neuer Schmerz verwandelte die Frage in ein Stöhnen. Marjella rang um Atem.

Vargas beugte sich mit interessierten Blick über sie. Seine Miene zuckte.

“Wach erstmal auf“, schlug er vor. “Es bringt nichts, wenn du gleich wieder ohnmächtig wirst. Das würde mir den Spaß verderben.“

“Arschloch“, presste Marjella hervor. Ihre Gedanken rasten, entfachten dabei ein Feuerwerk. Blitzende Lichter, sengend, blendend, füllten Marjellas Kopf. “Der Prismar hätte dich in Stücke gerissen. Ich habe dich gerettet!“ Sie schnappte nach Luft.

“Du hast mir diese ganze Scheiße erst eingebrockt“, antwortete Vargas. Er war ruhig und das machte Marjella wirklich Sorgen. Er hatte Zeit gehabt seinen aufgestauten Zorn zu kanalisieren.

“Das war nicht meine Absicht. Das weißt du! Ich wollte den Stein!“ Marjella zerrte an ihren Fesseln und wurde mit Schmerzen belohnt.

“Du wolltest mich töten.“

“Ja, verdammte Scheiße“, knurrte sie. “Und dir wäre es egal gewesen.“

“Deshalb hast du mir mit der einen Sache gedroht, von der du ganz genau wusstest, dass sie mich in die Knie zwingen würde.“ Vargas packte Marjellas Kopf und presste ihn auf den Boden bis sie schrie. “Ich hab dir gesagt, dass du dafür bezahlen wirst. Es ist Zeit die Schulden zu begleichen.“

Er ließ Marjella los, stand auf und ging zum Feuer hinüber.

Marjella sah ihm nach und rang sich eine Antwort ab: “Du hast mich gerettet, nur um mich jetzt umzubringen?“

“Nein.“ Vargas beugte sich zum Feuer hinunter und stocherte darin herum. Funken stoben in die Dunkelheit. Der flackernde Schein auf Vargas’ harten Zügen erinnerte an die Fratze des Prismar. “Ich sagte doch: für dich nehme ich mir Zeit.“

Marjella schaffte es endlich, sich aufzurappeln. “Idiot. Das ist der Dämon in dir. Er kontrolliert dich schon wieder.“

Sie starrte auf Vargas’ Rücken, wo dunkle Flecken und Schatten ein hämisch grinsendes Gesicht formten. Vargas schauderte und wand sich, fuhr aber ruhig fort: “Nein. Das bin ich. Dieses Ding und ich haben gerade ähnliche Interessen. Wir haben eine Art Waffenstillstand, bis das hier erledigt ist.“

Marjella riss an ihren Fesseln. “Du weißt nicht, von was du redest. Das Ding ist gefährlich! Es hätte dich fast umgebracht. Lass mich ihn wieder ruhig stellen, dann können wir wie Erwachsene miteinander reden.“

Vargas fuhr herum. “Nein! Du bleibst aus meinem Kopf raus, Hexe!“ Sein Gesicht verzog sich vor Hass, in seine Augen glomm ein roter Funke auf. “Du wirst mich nie wieder anfassen!“

Der Schmerz und die Hilflosigkeit in Marjella lösten sich auf, machten panischer Wut Platz. “Hör mit dem Unsinn auf! Ich kann dir helfen. Ich brauche dich leben!“

Vargas schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Feuer zu. “Du weißt, dass mir das ziemlich egal ist. Mein Leben ist ein Haufen Scheiße. War es schon immer, wird es immer sein. Im Moment gibt es nur eines für mich, das es lebenswert macht. Und das ist dich leiden zu sehen.“ Wieder schürte er das Feuer. Die flackernde Glut zauberte ihm ein scheußliches Lächeln aufs Gesicht. Es roch nach schwelendem Leder.

“Als erstes werde ich aber dafür sorgen, dass du mich nicht mehr mit deinem Zauber berühren kannst. Dazu brauchst du deine Hände, nicht wahr?“

Marjella starrte auf das Messer, das neben Vargas im Boden steckte. Sie wusste wie scharf die Klinge war. Immerhin war es ihre eigene.

Sie rang sich ein Schnauben ab. “Du bist ein Idiot. Wenn du mir jetzt die Hände abhackst verbluten ich. Das war’s dann mit deinem schönen Plan.“

Vargas nickte nachdenklich. “Spürst du deine Hände noch?“

Marjella hörte auf an ihren Fesseln zu ziehen. Ihre Finger waren taub. Sie presste die Lippen aufeinander. Vargas lächelte und zog das Messer aus dem Boden.

“Gut. Dann können wir ja anfangen. Hierauf freue ich mich besonders.“ Seine Stimme klang fremd, wie als stünde er in einer großen Höhle, deren kalte Wände Echos hin und her warfen.

Er griff zum Feuer und zog das zweite Messer heraus. Die Klinge knisterte. Das Metall glühte sanft.

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