#19 | Bestien

Marjella sah wie Vargas fiel. Sein Körper blieb stehen, zuckte und krampfte. Aber es war nicht mehr Vargas, der ihn aufrecht hielt.

Die Orks spürten es genauso. Ihre Sinne waren fast noch feiner als die von Elfen. Sie rochen eine tödliche Gefahr sofort. Die ersten begannen zurück zu weichen. Das Beben, das Vargas ergriffen hatte, wurde immer stärker. Es schleuderte ihn herum, bog seine Arme und Beine, seinen Nacken und seinen Rücken in unnatürliche, schmerzhafte Positionen. Der Prismar war nicht an eine Hülle aus Fleisch und Knochen gewöhnt. Er testete ihre Grenzen und sprengte sie.

Marjella taumelte zurück. Auf Vargas nacktem Rücken zogen sich die dunklen Flecken zusammen, stiegen aus der Tiefe aus, wuchsen und breiteten sich aus. Sie wurden immer massiver, nahmen Form an, Kontur, bis die scheußliche Fratze des Dämons sich erhob. Marjellas Magen begann zu rebellieren.

Vargas brüllte. Es war nicht länger seine Stimme. Das Kreischen war zu laut, zu schrill. In ihm hallten das Chaos der tiefsten Höllen wieder, der Wahnsinn, der Seelen fraß und nur Tod und Zerstörung zurück ließ.

Marjella sah sich um. Die Orks starrten oder flohen. Ans Kämpfen dachte keiner mehr. In dem Durcheinander konnte Marjella eines der Pferde entdecken. Die Zügel lagen in einer Orkpranke, gegen die das Tier sich heftig wehrte.

Mit einem Ruck riss Marjella ihren Blick los. Sie drehte sich zu dem Prismar um, der noch immer mit seiner neuen, fleischlichen Form zu kämpfen hatte.

Was für ein beschissener Auftrag.

Marjella lief los ohne länger nachzudenken. Die Orks interessierte sich nicht mehr für sie.

Sie erreichte Vargas. Der Prismar starrte sie aus rotglühenden Augen an und fauchte. Sie achtete nicht auf ihn und griff nach Vargas’ Kopf.

“In dir gibt es einen See. Sein Wasser ist klar und kühl. Nichts kann es trüben. Es ist unauslotbar tief und dunkel. Doch die Oberfläche schimmert im Licht. Lass sie durch nichts gestört werden. Sie ist ein Spiegel deiner selbst. Nur in ihr kannst du dich erkennen. Nur in ihr wirst du Wahrheit finden.

Störe nie den Spiegelglanz. Lerne einzutauchen ohne das Wasser aufzuwühlen. Nur wenn die Oberfläche glatt ist, wirst du Ruhe in der Tiefe finden. Nur wenn du dort ruhst, wirst du verstehen.

Der See ist deine Seele, dein Wesen. Doch er ist auch mehr. Er ist unser aller Seele, unser aller Wesen. Wir sind vereint. Wir sind stark. Wir sind die Kinder des Lichtes. Wir tragen die Dunkelheit in uns. Aber sie kann uns nicht berühren. Nicht, solange wir nicht das Wasser aufwühlen. Wir können sie berühren, aber sie wird uns nicht aufwühlen. Wir bleiben glatt. Wir sind der Spiegel. Wir erstrahlen im Licht.

Bade im Meer der Seelen, unter dem Glanz der Sterne. Finde Ruhe. Finde Wahrheit. Verstehe und lerne. Erkenne dein Wesen.

Wahrheit ist Kraft.

Ruhe ist Stärke.

Störe nie den Spiegelglanz.

Tauche ein und sei verbunden.

Nimm unsere Macht.

Erstrahlen im Licht.

Lösche die Dunkelheit aus.“

Verdammte Scheiße.

Marjella hasste es wenn wie die Worte in ihrem Kopf widerhallten. Sie hasste die Stimme und den Tonfall. In all den Jahren hatte sie sie nicht abschütteln können. Wann immer sie versuchte Ruhe zu finden, um diesen an sich nützlichen Teil ihres Erbes zu nutzen, kamen die Erinnerungen hoch.

Marjella drängte sie zurück, verscheucht die Bilder und das Gefühl der Einsamkeit. Sie wollte sie nicht. Sie konnte sie nicht gebrauchen. Sie wollte nur die Magie, die damit verbunden war.

Weiß leuchtend stieg die Kraft in Marjella auf, strömte durch ihre Fingerspitzen und durchdrang die Barriere zwischen ihr und Vargas.

Ein Meer aus Rot. Brennend, verzehrend.

Marjella schnappte nach Luft. Ihr Instinkt schrie danach fort zu laufen, doch sie zwang ihn nieder und setzte erneut an.

Unbändiger Zorn. Ohne Ziel und ohne Sinn. Wahnsinn. Chaos, in die Farbe von Blut getaucht, flackernd, tanzend wie Flammen. Tödlich.

Mit einem Keuchen biss Marjella die Zähne zusammen. Zwischen ihren Händen knurrte der Prismar. Hätte er bereits die volle Kontrolle über seine Hülle erlangt, würde er Marjella töten. Ihr lief die Zeit davon, wenn sie ihre Investitionen schützen wollte.

Unerträgliche Hitze.

Nicht echt.

Der Geruch von verbranntem Fleisch.

Nicht echt.

Schmerzen wie als würde mir die Haut vom Leib gerissen.

Nicht echt.

Nichts davon ist echt. Du bist nur ein Schatten.

Mein!

Nein. Mein! Mein Auftrag, meine Beute!

Mein!

Mein!

Marjella zwang sich zur Ruhe. Der Zorn in ihr reagierte auf den Prismar. Solange sie verbunden waren musste sie einen kühlen Kopf bewahren, um dem Dämon nicht auch noch Einlass in ihr Innerstes zu gewähren.

Er war mächtig, wurde ihr klar. Zu stark für sie. Der einzige Grund, warum er sie noch nicht vernichtet hatte war Vargas. Der Alb leistete noch immer Widerstand. Seine Seele war im Meer des Hasses aufgelöst, das Feuer des Zorns hatte ihn zu feiner Asche verbrannt. Aber er war noch da. Marjella spürte ihn. Da war etwas gewesen, als sie ihn die letzten Male mit ihrer Magie berührt hatte. Ein winziger Teil von ihm, der sich nie dem Zorn gebeugt hatte und es auch nie tun würde.

Marjella kämpfte sich gegen die Strömungen und durch die Wirbel aus glühendem Nebel. Sie tobten brüllend, wollten ihr die Sinne rauben. Aber auch in ihr war ein Teil, der nie aufgeben würden.

Vor ihr tauchte etwas aus dem Nebel auf. Ein dunkel strahlender Stern, der das vollkommene Rot trübte.

Meins!

Marjella packte Vargas’ Stolz und zerrte ihn zu sich. Sie schlug zu und er erwachte. Mit einem Schrei wollte er sich auf Marjellas Licht stürzen. Sie floh, hinterließ eine Fährte aus silbrigen Schlieren, der er folgte wie ein hungriger Wolf.

Der Prismar konnte ihn nicht aufhalten. Vargas entglitt ihm.

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