#33 | Stilles Wasser

Das Feuer flackerte und malte unruhige Schatten in Vargas’ Gesicht. Der Widerschein der Flammen in seinen Augen ließ Marjella schaudern. Es war schwer zu sagen, ob es tatsächlich noch Vargas war, der da saß und in die Glut starrte, oder ob der Prismar sich inzwischen seinen Weg an die Oberfläche gebahnt hatte. Es war Zeit, dass Marjella etwas unternahm.

Sie griff nach den Bändern, mit denen ihre Rüstungsteile befestigt waren und löste sie, streifte den metallenen Armschutz ab und befreite sich dann von dem Brustharnisch.

“Du auch“, sagte sie zu Vargas.

Er brummte zur Antwort. “Wozu? Ich kann genauso gut in Rüstung schlafen.“

“Aber nicht entspannen. Darum geht es hier.“

Ärgerlich zerrte Vargas an Metall und Leder, legte Schwertgurt und Messer ab. Marjella atmete durch.

“Warum dieser Aufwand?“, wollte er wissen. Er nickte in Richtung des Orks, der sich zusammengekauert hatte und wieder ins Leere starrte. “Warum sagst du ihm nicht einfach er soll mich in einen Sack stecken und nach Morkaria schleppen?“

Marjella seufzte. “Das wäre wirklich einfacher als mir andauernd dein Gejammer anzuhören, da hast du Recht.“ Sie schüttelte den Kopf. “Aber ich habe dir schon einmal gesagt, dass dieses Ding zu dumm ist. Es taugt nicht als Waffe. Wenn wir in einen Hinterhalt geraten brauche ich jemanden der selbstständig denken und handeln kann und mir den Rücken frei hält.“ Sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen. “Und du bist leider tatsächlich mit Abstand der brauchbarste Partner, den ich je hatte.“

“Na Danke“, grollte Vargas. Es klang bereits wesentlich ruhiger. Der Alb streckte den Rücken durch und rieb sich die Muskeln. “Und jetzt? Bekomme ich eine Massage?“

“Haha“, antwortete Marjella und zog sich ihr Hemd über den Kopf. Sie hörte wie Vargas kurz nach Luft schnappte und musste grinsen. “Enttäuscht?“, neckte sie und zupfte die festen Bandagen zurecht, die ihre Brüste dort hielten wo sie hingehören.

“Was wird das? Verdammt!“

Marjella setzte sich Vargas gegenüber ins trockene Laub. “Erstens hilft es wenn ich mich in eine defensive oder sogar offene Position begebe“, erklärte sie. “Dann seid ihr beide euch nicht einig. Der Prismar würde angreifen, du nicht.“ Sie nickte Vargas zu. “Zieh das Hemd aus. Du musst auskühlen.“

Vargas zögerte, dann streifte er das dunkle Leinenhemd ab. “Und jetzt? Einer von deinen Elfentricks?“

Marjella schnaubte. “Wohl oder übel. Bisher hat es funktioniert.“

“Nein! Du bleibst aus meinem Kopf heraus.“

“Ich will da auch nicht rein“, erwiderte Marjella. “Aber ich muss dir zeigen, wie du selber … Ruhe finden kannst.“

Sie streckte die Hand aus und nach einem kurzen, unwilligen Zurückweichen ließ Vargas sie seine Stirn berühren. Die Dunkelheit und der Schmerz standen sofort parat – Messer, Angst, Ketten, Zorn, Schreie, Verzweiflung. Marjella ignorierte sie, sandte ein eigenes Bild. Klares Wasser füllte den Abgrund. Seine glatte Oberfläche spiegelte das Licht wider. Marjella zog sich zurück. Augenblicklich begann das Wasser sich zu kräuseln, zu brodeln. Ein Strudel entstand.

“Du musst es beruhigen“, murmelte Marjella.

“Mit deinem dämlichen Mantra?“ Vargas spuckte aus.

Marjella schauderte und presste für einen Augenblick die Lippen aufeinander. “Es ist wirkungsvoll.“

Ein abfälliges Lächeln schlich sich auf Vargas’ Züge während er das Wasser betrachtete und zur Ruhe zwang. Graues Licht füllte den Wald darum herum. “Das also ist Fait’Quivanna? Anheimelnd.“

Marjella nickte. “Kalt wie Stein, totenstill, greifbar wie Wasser.“

Vargas’ Konzentration geriet ins Wanken. Das Wasser wallte auf. Mit einem leisen Fluch zwang Vargas den See dazu, den Himmel und die Wipfel der Bäume widerzuspiegeln. Aber jedes Mal, wenn er seine Aufmerksamkeit davon zurückzog, begann die Dunkelheit aufs Neue das Wasser aufzuwühlen. Der Prismar mochte dieses Spiel nicht. Marjella konnte sehen, wie er unter der Oberfläche hin und her glitt – ein Leviathan, der auf den nächsten Sturm wartete.

Blinzelnd öffnete Marjella ihre Augen in die reale Welt. Die Dunkelheit hatte Einzug gehalten. Kühl und feucht lag die Nacht über ihrem kleinen Lager. Das Feuer war heruntergebrannt. Schaudernd stand Marjella auf, zog sich wieder an und legte etwas Holz nach. Die Glut leckte gierig danach und bald prasselten die Flammen wieder, führten ihren wilden Tanz auf. Der rot-goldene Schein flackerte über die Stämme der Bäume, trieb ein verwirrendes Schattenspiel in den rauschenden Blättern über Marjella.

Vargas’ Miene zuckte. Er schlug die Augen auf und schnaubte – ob verärgert oder erschöpft ließ sich kaum sagen. “So ein Unsinn“, murrte er.

“Mit der Zeit wird es einfacher werden. Und es hilft“, erklärte Marjella während Vargas in sein Hemd schlüpfte.

“Es fühlt sich falsch an. Verdammt! Ich bin ein Alb! Dämlicher Elfenzauber!“ Er spuckte ins Feuer. “Ich werde in Ashuraya genug zu erklären haben. Wie soll ich den Richtern klar machen, dass ich mich mit Elfen zusammengetan habe? Sie werden mich vierteilen und an die Hunde verfüttern.“ Er rieb sich das Gesicht und knurrte.

“Du hast dich nicht mit Elfen zusammengetan, sondern mit mir“, widersprach Marjella.

“Macht keinen Unterschied.“ Vargas warf ihr einen durchdringenden Blick zu. “Ich sollte dich umbringen. Du solltest mich umbringen!“

Marjella ließ die Schultern hängen. “Du tust es schon wieder.“

Vargas schüttelte den Kopf. Keine Verneinung, nur der Versuch den Prismar los zu werden.

“Wir müssen zusammenhalten wenn wir lebend und vielleicht sogar mit Gewinn aus dieser Scheiße aussteigen wollen.“ Marjella nahm sich ihre Decke und bereitete sich in der Nähe des Feuers ein Lager. “Alles andere interessiert mich nicht.“

Vargas schnaubte verächtlich. “Ich dachte du wärst in Fait’Quivanna aufgewachsen.“

Marjella zögerte. “Ich habe viele Jahre dort verbracht, ja. Aber ich war nie wirklich willkommen. Ich bin keine Elfe. Ihr Krieg ist nicht mein Krieg. Egal was sie sagen – kein Alb hat mir jemals etwas getan.“

Vargas sah zu ihrem Handgelenk, um das noch immer ein Verband gewickelt war. “Ich habe dir etwas getan.“

Marjella lachte grimmig. “Das war eine persönliche Angelegenheit, zwischen mir und dir.“ Sie legte sich hin und drehte Vargas den Rücken zu. “Und es ist nichts im Vergleich zu dem, was Elfen mir angetan haben.“

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